Sonntag, 26. Mai 2013

Weil du nicht da bist


Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe All meine Einsamkeit auf dies Papier. Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe. Die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.

Weil du nicht bist, ist der Bäume Blühen, Der Rosen Duft vergebliches Bemühen, Der Nachtigallen Liebesmelodie Nur in Musik gesetzte Ironie.

Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel. Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an Mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel, Dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.

Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschirm; Den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt. November singt in mir sein graues Lied. »Weil du nicht da bist« flüstert es im Zimmer.

»Weil du nicht da bist« rufen Wand und Schränke, Verstaubte Noten über dem Klavier. Und wenn ich endlich nicht mehr an dich denke, Die Dinge um mich reden nur von dir.

Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen Und weck vergilbte Träume, die schon schliefen. Mein Lachen, Liebster, ist dir nachgereist. Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.


Mascha Kaleko

Sonntag, 5. Mai 2013

Der Sternanzünder




Geht die Abendsonne schlafen,
kommt der Sternanzündemann.
Und der steckt die vielen Sterne
hoch am dunklen Himmel an.
Einer nach dem andern flammt
silberhell auf blauem Samt.
Und inmitten all der Sterne
knipst er an die Mondlaterne.


Horch, die Abendglocken läuten!
Tagwind spricht zum Abendwind:
Freund, das Stündlein hat geschlagen,
da dein Abenddienst beginnt.
Lebe wohl, ich kann nun gehn.
Fange du jetzt an zu wehn!
Und der Sternanzündemann
Zieht daheim den Schlafrock an.


Mascha Kaleko